- Artikel-Nr.: PRE_181P
- Veröffentlichung: 13.11.2020
- EAN: 4046661691429
- Band: EXTRABREIT
- Label: Premium Records
- Setinhalt: 1
Premium Edition mit 3 Bonustracks
War das schon alles?
Im Video des bereits in 2019 nur auf YouTube veröffentlichten Lebenszeichens "War das schon alles?" sieht man die Band Extrabreit über die sonnenbeschienenen Zufahrtsstraßen zum Festivalgelände in Wacken rattern, im Zeitraffer werden die Busse entladen, das Catering verspeist und mal eben eine zigtausendköpfige fröhliche Masse bespielt, bevor im Hotelaufzug ein Tänzchen hingelegt wird. Ich glaube, auch als Nichtmusiker kann man sich diesem Klassenfahrtgefühl nicht entziehen, das aufkommt, wenn dazu Kai Havaiis ebenso trotzige wie altersweise Zeilen den Kreis rund machen: "Die Experten blähen die Nüstern und flüstern: Bald ist es aus! / Ich trink ´nen Kaffee und lass sie sabbeln und mach das Fenster auf ...
... and we play Rock´n Roll!
"We are Motörhead and we play Rock´n Roll!"
Mit diesen Worten begann Lemmy Kilmister jede Show seines Lebenswerks Motörhead. Das hätte, so simpel wie es war, nicht besser auf den Punkt gebracht werden können, und das konnte man sowohl als kurze Information für bare Münze nehmen - während für Liebhaber eine Jahrzehnte währende Geschichte von Unbeirrbarkeit und Konsequenz, von Unkorrumpierbarkeit und (ja, doch:) Stolz damit auf eine kurze Formel gebracht wurde. Ob das abgeschmackt oder gar anmaßend ist, dieses Zitat im Zusammenhang mit den Hagener Haudegen zu bemühen? Mal gucken. Selten habe ich jemanden liebe- und respektvoller über Lemmy sprechen hören als Gitarrist Stefan Kleinkrieg - und zwar nie im Tonfall der "Mucker-Kollegialität" oder Ankumpelei. Eher hat man den Eindruck, dass die Erinnerung an diesen posthum selbst vom Mainstream zur Gottheit erklärten Zausel genau dann Mut macht, wenn es für einen selbst - oder die eigene Band, was durchaus schlimmer sein kann - nicht gut aussieht und Zukunft ein Wort geworden ist, dass man gerne den Bausparwerbestrategen überlässt. Die New York Dolls brachten 2006 nach 32 Jahren ein Album heraus, es hieß "One Day It Will Please Us to Remember Even This". Mit diesen Gefühlswelten kennen Kleinkrieg und seine Mannen sich aus.
Das böse N-Wort
Nun ist es ja kaum möglich, bei der Beschreibung des Phänomens Extrabreit ohne das böse N-Wort auszukommen. Die von der bundesdeutschen Plattenindustrie spät aber dafür umso reißerischer und skrupelloser ausgerufene Neue Deutsche Welle hatte die zu dieser Zeit schon seit drei Jahren existierende Pub Rockband mit sich gerissen und ihr zweifellos in einer zwei Alben währenden Phase ein exorbitant großes Publikum vor die Marshalltürme geworfen. Was einen gar nicht zu vermeidenden erfolgsmäßigen Sturzflug bis hin zum scharenweisen Liebesentzug zur Folge hatte, an dem die Band aber nicht annähernd so hart zu knuspern hatte wie an dem NDW-Stempel selber und dem weitverbreiteten Eindruck, es handele sich um ein Relikt aus dieser regelmäßig auf Aprés-Ski-Niveau abgefeierten Zeit. Das hat die Band, um es kurz zu sagen, durch Besinnung auf ihre Identität als Live-Combo überlebt.
Live eine Macht
Auf die Frage, warum es Extrabreit noch gibt , erhält man stoisch die Antwort: „Das liegt einfach daran, dass wir immer noch leben“.
Gut und schön, aber gut beatmete Halbleichen im Schaufenster des "Ach, was war das früher schön"-Rock-Theaters gibt es beileibe genug, und ein neues Extrabreit-Album hätte zu anderen Zeiten und in anderen Aggregatzuständen durchaus eine blasse oder traurige Angelegenheit werden können. Jedoch: Die letzten Jahre mit beständigen Konzertreihen, aber mit genügend Abstand und anderen Tätigkeiten haben der Band gutgetan. Dass sie live eine Macht sind, davon konnte man sich nicht nur auf ihren Weihnachts-Blitztourneen (einem rund einen Monat andauernden Spektakel in größeren, stets ausverkauften Clubs) überzeugen. Meine Wenigkeit hat Extrabreit als Liveband überhaupt in dieser Phase erst kennengelernt. Einem Rolf Möller mit seinen 64 Lenzen an den Drums zuzusehen, lässt einen irgendwie ganz demütig werden, und wir sprechen hier nicht von breitbeinigen Solo-Pirouetten, sondern von einem Band- und Song-dienlichem Gesamthammer, den ich allenfalls bei den Godfathers oder den Fleshtones erlebt habe.
"Der Wind der neuen Zeit weht laut und singt sein blasses Lied..."
In der Extrabreit-freien Zeit macht Kleinkrieg auch weiterhin Musik (Album: „Abgelehnt“, Sirena Records 2019), Schlagzeuger Rolf Möller arbeitet als Veranstalter, und die neuen Eckpfeiler der Band (seit 2002), Lars Larsson am Bass, der das Durchschnittsalter der Jungs drastisch senkt und Gitarrist Bubi Hönig, der „Brasilianer“ der Band und natürlich Kai Havaii, der mit seinem erfolgreichen Kriminalroman "Rubicon" ein komplett neues Kapitel aufgeschlagen hat. Der exzellent recherchierte und toll geschriebene Schinken lässt mehr als einmal erkennen, warum dieser Mann so gute Rock ´n Roll-Texte schreibt:
"Liebling, die Welt wie wir sie kennen / sie wird brennen bis zur Glut/ ... es wird ein langer kalter Winter".
Doch nicht nur er hat was zu erzählen, die Worte verschmelzen völlig unverkrampft und scheinbar mühelos mit den Musiken seines Zwillings Kleinkrieg - irgendwie gemahnt das auch an Social Distortion zu ihren besten "White Light White Heat
White Trash"-Zeiten. Selten hat man schönere in Punkrock gegossene Melancholie in deutscher Sprache gehört: Du und ich, wir waren so ein schönes Paar im Mai / Im Juni war die Hitze aus, im September war´s vorbei ...".
Havaii gönnt sich und uns genau so viel Pathos, wie ihm und seiner Truppe verdammt nochmal zusteht.
Auf Ex!
"Auf Ex", das erste Studioalbum seit 12 Jahren wurde nun aufgenommen und produziert von Michael Danielak und Franky Kühnlein im Backyard/Schallsucht-Studio Hagen - und Hagen spielt hier sogar eine größere Rolle, als das bei den Texten des Wahl-Hamburgers Havaii früher der Fall war: "Da wo ich geboren bin / zieht es keine Hipster hin/... wo man hinschaut zerbrochene Träume" .
So gibt´s den Opener „Die Fressen aus dem Pott" am 13.08. schon mal vorab als Single „Wir werden nicht in Schönheit sterben und diese auch niemals vererben / Wir sind die Fressen aus dem Pott, so gemacht vom lieben Gott …“ .
Selbstreflektierendes wie "Vorwärts durch die Zeit", wo das Altern als Band oder Privatperson so nonchalant thematisiert wird, wie es eben genau dieser Havaii´sche Tonfall hergibt, wird hier niemals schwülstig, da der Sänger es schafft, Positives wie Negatives gleichzeitig zu empfinden und das auch noch in ein paar Four-To-The-Floor-Zeilen zu transkribieren. Ob "auf Ex" konsumiert oder im Ohrensessel bei Meerschaumpfeife und erlesener Traube: Die neue Extrabreit (ihre 13.) enthält 13 Songs und erscheint am 13.11.2020. Und das ist ´ne verdammt gute Nachricht. „Seine Majestät der Tod" soll sich gefälligst hinten anstellen. Glück auf! (Autor: Seb Hinkel)
Links:
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